Hermannstadt, Schäßburg, Gebissdorf, Thorenburg, Weißkirch, Siebenbürgen, Rumänien (MaDeRe). In der idyllischen Altstadt des Siebenbürgener Städtchens Sighisoara (28 000 Einwohner) fällt uns zufällig eine kleine weiße Marmortafel auf, wohl unbemerkt von den meisten Touristen: „In aceasta casa a locuit intre anii 1431 – 1435 Vlad Dracul“. Es bereitet keine Schwierigkeiten, den rumänischen Text zu entschlüsseln: In diesem Hause lebte 1431 bis 1435 ein gewisser Vlad III. Dracul – der berüchtigte, in zahllosen Romanen (insbesondere von Bram Stoker 1897) und zahlreichen Filmen, von Murnaus „Nosferatu“ (1922) zu Polanskis brillanter Vampir-Parodie „Tanz der Vampire“ (1967) geschilderte Vampir „Draculea“ (Sohn des Drachen). Angeblich soll der legendäre Fürst in Sighisoara das Licht der Welt erblickt haben – gewiss ist es nicht. Klar ist nur: Dracula ist der Inbegriff des Bösen, Unheimlichen – und das wird in unmittelbarer Nachbarschaft jener Plakette überdeutlich: Da befindet sich nämlich eine moderne Büste des aristokratischen Vampirs, die an Scheußlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt – und tastsächlich Angst einflössen könnte.
Doch halt: „The Land of Dracula“ – mit diesem Image will das heutige Rumänien gründlich aufräumen, obwohl es natürlich immer noch jede Menge Reise-Anbieter gibt, welche diese alte Platte spielen. Rumänien, das wie alle europäischen Länder unter der Covid-Pandemie gelitten hatte und im Tourismus erheblichen Rückgang zu verzeichnen hatte, lanciert jetzt einen vielversprechenden Neustart: Ökotourismus. In enger Zusammenarbeit der „Association of Ecotourism“ mit der österreichischen Organisation „Advantage Austria“ und Österreichs Botschaft in Bukarest wurde in der siebenbürgener Ortschaft Zabala bzw. Zabola eine Konferenz zur Zukunft des Ökotourismus in Rumänien mit zahlreichen spannenden Beiträgen veranstaltet.
Doch die eigentliche Attraktion dieser Konferenz war der Tagungsort selbst: Zabola Estate – ein wunderbares Landgut, das der auf das Mittelalter zurück gehenden gräflichen Familie Mikes restituiert wurde. Die mittelalterliche Burg war im 19. Jahrhundert zu einem Schloss im Stil der Renaissance umgebaut worden, inmitten eines herrlichen Englischen Gartens, wie er damals Mode wurde. Es folgten traumatische Ereignisse, vor allem die nächtliche Vertreibung der Familie im Jahr 1949. Doch die Schatten der Vergangenheit sind verblasst und seit dem Jahr 2005 hat Zabola Estate unter dem unternehmerischen Erben der Familie, Gregor Roy Chodhury, der in Graz aufgewachsene Sohn der ungarischen Gräfin Katalin Mikes und eines Maharadschas aus Bangladesch wieder Gestalt angenommen – als kleines, feines Luxushotel mit höchst originellen und mit perfektem, künstlerisch inspiriertem Geschmack ausgestalteten Gästezimmern in verschiedenen Dimensionen, von der riesigen Hochzeits-Suite mit Terrasse und blick über die weiten Gartenanlagen zu den etwas kleineren aber immer noch einzigartigen Zimmern. Für die exquisite künstlerische und innenarchitektonische Gestaltung zeichnet Alexander, der Bruder des Eigentümers, verantwortlich. Man nimmt Drinks an der sehr englisch inspirierten Bar, tafelt im eleganten Speisezimmer oder, wie wir, bei warmem Sommerwetter auf der Gartenterrasse. Im Entstehen ist ein Spa mit Saunen und Whirpools.
Den Anspruch Ökotourismus erfüllen Mikes und seine Gattin, eine professionelle Springreiterin, perfekt: Mit einem eigenen, von der Pferde-Expertin rigoros betreuten Gestüt. Aber vor allem auch mit Exkursionen in den Bären-Wald. In einem alten Landrover, in Begleitung des kundigen Rangers Peter Levente, beginnt das Abenteuer: Es geht eine steile Staubstraße hinauf, immer tiefer in den dichten Wald. Mit Handzeichen bedeutet uns Levente, auszusteigen – und vor allem keinen Laut mehr von uns zu geben. In Einerkolonne geht es auf einem Pfad weiter. Etwas mulmig ist es uns schon zumute: Wir wissen, ja spüren, dass die Bären nahe sind, sehr nah sogar – und dass sie dem Menschen durchaus sehr gefährlich werden können, besonders wenn man versehentlich zwischen Mutter- und Jungtiere gerät.
Da taucht vor uns eine kleine Holzhütte auf und der Ranger bedeutet uns, einer nach dem anderen, einzutreten – weiterhin lautlos. Die Hütte weist vor allem eines auf: eine große Glas-Scheibe und vor dieser, unmittelbar vor uns, ja zum Greifen nahe (wenn die Scheibe nicht wäre), sind da riesige, zottige, Bären – tonnenschwer wie es scheint bewegen sie sich sehr, sehr langsam. Sie wirken friedlich, denn Levente hat Futter ausgestreut, und die mächtigen Tiere geben sich ganz dem Fressen hin – weder die Glasscheibe noch die Gesichter dahinter, die sie doch wahrnehmen müssten, lenken sie ab. Später wird uns erklärt, dass Bären so viel Nahrung zu sich nehmen, wie sie nur können – wohl im Hinblick auf den langen Winterschlaf, zu dem sie sich in wenigen Monaten zurückziehen werden. Und da sie sich stets erinnern, wo sie zuletzt Futter gefunden haben, kann man den Gästen auf Bären-Safari mit hundertprozentiger Garantie das Bären-Erlebnis in Aussicht stellen: das klappt immer. Und die Sache hat noch den zusätzlichen Reiz des (durchaus nicht unberechtigten) Nervenkitzels…
Besonders entzückt sind wir von zwei putzigen Jungtieren, die – stets vom Muttertier überwacht – behende auf Bäume klettern. Das erinnert uns daran: wird man von einem Bären bedroht, nützt es gar nichts, sich auf einen Baum zu flüchten – da sind uns die Bären um ein Vielfaches überlegen. Und davonrennen nützt ganz und gar nichts: Bären entwickeln eine Höchstgeschwindigkeit von 60 Stundenkilometern, wird uns erklärt – da müsste man schon in einem Auto oder auf einem Motorrad die Flucht ergreifen. Und ob das mit dem viel zitierten Totstellen klappt, naja – klingt nicht sehr plausibel…
Am nächsten Tag führt uns Levente in einen unterirdischen, von außen kaum sichtbaren Bunker mit einer schmalen, von einer Scheibe bedeckten Luke: Hier befinden wir uns tatsächlich inmitten im Bären-Futtergebiet. Stundenlang harren wir aus, ohne allzu viel Luft zum Atmen zu haben in diesem engen Bunker, bis plötzlich unmittelbar über uns der Bär auftaucht und für unsere Erinnerungsfotos posiert – das Ausharren hat sich gelohnt…
4200 Bären soll es in Rumänien geben, wird uns erläutert (die Zahlen schwanken allerdings). Rumänien hat die größten Bären- und Wolfsbestände in Europa. Im Jahr 2016 hat Rumänien – im Zusammenhang mit der entsprechenden EU-Gesetzgebung – die Jagd auf Bären zur Gewinnung von Trophäen (das berühmte Bärenfell vor dem Kamin…) verboten, nachdem die Zahl geschossener Bären Jahr für Jahr zugenommen und just im Jahr 2016 mit 550 geschossenen Bären (sowie 600 Wölfen und 500 Raubkatzen) einen Höchststand erreicht hatte. Unter anderem aus Österreich reisten betuchte Leute gerne nach Rumänien, um einen Bären zu erlegen – Nervenkitzel, Prestige. Bis zu 10 000 Euro ließen sie sich den Spaß kosten. Doch wir brachten in Erfahrung, dass derartige Beträge trotz Jagdverbot weiterhin das Abschießen von Bären möglich machen.
Umso lobenswerter daher ist das Angebot von Zabola Estate, täglich zu einem sehr fairen Preis Bären-Safaris unter kundiger Führung zu organisieren. Ökotourismus muss unblutig sein – nur so verfügt er über die nötige Attraktivität und das entsprechende ethische Fundament. Rumänien, und ganz besonders das landschaftlich äußerst reizvolle und touristisch noch wenig entdeckte Siebenbürgen hat sich ganz dem neuen Trend des Ökotourismus verschrieben. Neu markierte Wanderwege werden den Besuchern angeboten – Fußwege, die knapp 1000 Kilometer von der Bukowina im Norden mit ihren sehenswerten Felsenklöstern durch 400 Städte und Dörfer zur Donau führen und die in Etappen bewältigt werden können.
Berühmt sind die Wehrkirchen der siebenbürgener Sachsen – im 12. Jahrhundert von ungarischen Königen aus strategischen Gründen aus dem Rheinland hierher gelockt – und eine der schönsten von ihnen steht in dem mit dem Unesco-Welterbe-Gütesiegel geadelten Dorf Weißkirch (Viscri). Hier hat auch Prinz Charles eines der typischen Häuser erworben, ein schmucker himmelblauer Bau, der an Besucher vermietet wird. Die vom Prince of Wales ins Leben gerufene Stiftung bemüht sich um den Erhalt der dörflichen Kultur in Rumänien, sie fördert Betriebe, in denen nach althergebrachten handwerklichen Methoden produziert wird – handgemachte Dachziegel beispielsweise.
Eine ganz andere Initiative im Bergdorf Rau Sadului, im „Land der Berghütten“ (Tara Colibelor) wurde zur Rettung der alten Hirtenhütten lanciert, die künftig als Ferienhäuser für Besucher vermietet werden sollen – Ökotourismus in Reinkultur. Der Bürgermeister Daniel Minea lässt es sich nicht nehmen, eigenhändig die lokale Spezialität auf dem offenen Feuer zuzubereiten: „Burduf“-Käse aus Schafmilch wird in Knödeln aus Polenta in der Asche einer Feuerstelle erwärmt. Im hochgelegenen Resort „Portal“ bei Sibiel hat eine Managerin, die zu einem neuen Lebensstil aufgebrochen ist, einen „Ort der Ruhe für Freunde“ mit originellen Holzbungalows zwischen Alpweide und Wald aufgebaut – hier betreibt sich auch ein Restaurant für die Gäste, das eine Fusion zwischen traditioneller rumänischer Küche und Nouvelle Cuisine anbietet.
Eine besondere Attraktion, die man auch unter den Titel „Ökotourismus“ bringen möchte, ist die entzückende Schmalspurbahn von Holzmengen (Hosman) nach Harbachsdorf (Cornatel) – eine 45 Minuten dauernde Fahrt, bei der man Blumen pflücken könnte, durch eine alte Agrarlandschaft, in der die Heuwagen noch von Pferden gezogen werden. Eisenbahn-Nostalgiker geraten zweifellos beim Anblick der knallroten, winzigen hundertjährigen „Deutz“-Diesellok Nummer 56775 in Verzückung….